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Jochen Stelzer
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offener Brief an die Anwohner Im Singelsen

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Probleme beim Aufbau einer dezentralen Wohngruppe

Seit dem Herbst 2002 findet in Marl eine unschöne Auseinandersetzungen um die Einrichtung einer dezentralen Wohngruppe für Kinder statt. Die Anwohner der Strasse "In Singelsen" bauten von Anfang an massive Fronten auf. Sie wollten ihr privilegiertes Wohnviertel schützen. An sachlichen Informationen zeigten sie kein Interesse. Sie schalteten umgehend eine Rechtsanwältin ein, über die alle Kontakte liefen.
Das Verhalten dieser Anwohner empörte den Ausschuß für Kinder- Jugend- und Familie und führte zu vielen deutlichen Leserbriefen.
Als Vorsitzender des Ausschusses äußerte ich mich mehrfach zu diesem Verhalten in der Presse. Ein Leserbrief und ein "offener Brief" an die Rechtsanwältin sollen ein Schlaglicht auf die Auseinandersetzung werfen.

Aktueller Stand: der Landschaftsverband Westfalen-Lippe wird die dezentrale Wohngruppen "Im Singelsen" noch in diesem Jahr verwirklichen.
Marl, den 6. Oktober 2003

An
Frau Dr. Beate Anders
Schaeferstrasse 12
44623 Herne

Betrifft: Wohngruppenprojekt "Im Singelsen"
Sehr geehrte Frau Dr. Anders!

Auf der September-Sitzung des Ausschusses für Kinder- Jugend- und Familie diskutierten wir den aktuellen Stand zum Wohngruppenprojekt des LWL "Im Singelsen". Mit großer Enttäuschung nahm der Ausschuss zur Kenntnis, dass alle bisherigen Bemühungen zu einer verträglichen Einigung mit den Anwohnern ohne positives Ergebnis im Sande verliefen. Für die Ausschussmitglieder verstärkte sich der frühere Eindruck nachhaltig, dass die Anwohner "Im Singelsen" kein wirkliches Interesse an sachlichen Vorabinformationen hatten. Von Anfang an standen die Bewohner "Im Singelsen" stur und ablehnend dem Wohngruppenprojekt des LWL gegenüber. Diese ablehnende Haltung dokumentiert sich im einschalten einer Rechtsanwältin und durch die Nichtteilnahme der Anwohner an Gesprächsterminen. Eine sachliche Ge-sprächsbasis war von Anbeginn an nicht vorhanden und wurde aus Sicht des Ausschusses von den Anwohnern "Im Singelsen" auch nicht gewünscht. Dem Ausschuss drängte sich der Eindruck auf, dass auf biegen und brechen dass Wohngruppenprojekt verhindert werden sollte. Vorurteile wurden durch das Verhalten der Anwohner "Im Singelsen" zementiert. Ein Paradebeispiel für Intoleranz. Ein Beispiel dafür, wie Solidargemeinschaft nicht funktionieren darf: Solidarität mit Kindern und Jugendlichen in Notlage sollen die "anderen Marler" auf ihren Schultern tragen, die Anwohner "Im Singelsen" verweigern diese Solidarität. - Wie Hohn klingt es da, wenn die Anwohner "ein Projekt mit Behinderten" befürworten würden, aber eine dezentrale Wohngruppe kategorisch ablehnen. So grenzt man gezielt aus und so demaskieren sich die Stimmungsmacher "Im Singelsen".
Bei der Planung des LWL für seine dezentralen Wohngruppen nimmt die Standortfrage eine wichtige Rolle ein. Aus pädagogischen und therapeutischen Gründen ist die Integrierung einer Wohngruppe in ein intaktes Wohnumfeld mitentscheidend für den Erfolg der Arbeit mit den Kindern. Diese Kinder sind aus unterschiedlichen privaten Gründen in einer schwierigen Lebenssituation, in der sie für einige Jahre aus ihrer Herkunftsfamilie herausgenommen werden müssen. Das zeitlich befristete Leben dieser Kinder in einer dezentralen Wohngruppe ist die angemessene und sinnvolle Hilfe, die sie benötigen.
Stigmatisieren, Ablehnung und ein feindliches Umfeld unterbinden schon im Vorfeld die Umsetzung eines modernen Hilfekonzeptes für diese Kinder und Jugendlichen. Was für diese Kinder aktuell als ernüchternde Erfahrung bleibt ist die traurige Erkenntnis, dass sie die " beschauliche Idylle " der Anwohner "Im Singelsen" stören; dass sie vorverurteilt werden; dass man sie ablehnt, ohne Gründe zu nennen; dass „praktizierte Solidarität“ mit dem selbst gewählten Status einer Siedlung zusammenhängt und Solidarität mit Hilfe-bedürftigen Kindern dabei anscheinend zweitrangig ist.
Der Ausschuss für Kinder- Jugend- und Familie praktiziert Solidarität mit den Kindern und Jugendlichen, die in der Wohngruppe leben sollten. Wir sprechen uns daher nochmals nachdrücklich für das Konzept des LWL mit den dezentralen Wohngruppen und der Wohngruppe "Im Singelsen" aus.
Der Ausschuss nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass das Betreiben einer dezentralen Wohngruppe "Im Singelsen" durch das intolerante Verhalten der Anwohner nicht mehr sinnvoll erscheint. Die zementierte Front scheint unüberwindbar. Aus pädagogischen und therapeutischen Gründen ist es daher wohl sinnvoller, den Kindern diese Nachbarschaft zu ersparen.
Der Ausschuss beauftragte mich, Ihnen Frau Dr. Anders, diese Stellungnahme mit Bitte um Kenntnisgabe an die durch Sie vertretenen Anwohner zuzuschicken. Gleichzeitig schicke ich dieses Schreiben der Marler Presse zur Veröffentlichung. Die Mitglieder des Ausschusses stehen einstimmig hinter dieser Stellungnahme und dokumentieren dies durch ihre namentliche Nennung. Die Unterzeichner wollen nicht anonym bleiben mit ihrer Meinung (wie die Anwohner im Singelsen).
Karl-Heinz Dargel, Marina Herbers, Andreas Hübscher, Christel Kahl, Maria Mell, Ursula Prost, Michael Groß, Doris Schindler, Jochen Stelzer, Peter Wenzel, Jens Flachmeier, Josef Strick-mann, Johannes Westermann, Lothar Bartelheimer, Bärbel Braucks, Markus Caspers, Hanne Dienstbier, Sabine Dornieden, Ulrich Harling, Brigitte Henkel, Maria Jürgens, Winfried Kartes, Claudia Kremer, Beatrix Ries, Bärbel Schneider, Wolfgang Teichmann, Lilia Vishnevetska, Werner von dem Berge              



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