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Jochen Stelzer
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Kürzungen im Zivildienst

Archiv > 2001 - 2010 > 2003
Jochen Stelzer      Marl, den 7.3.2003
Offener Brief

An
Waltraud Lehn MdB

Kopie an
WAZ
Marler Zeitung
Betrifft: Kürzungen beim Zivildienst

Liebe Waltraud,
Es reicht! Seid ihr euch in Berlin im klaren, was die Haushaltssperre und die Kürzungen im Bereich Zivildienst bedeuten? Sind die kritischen Äußerungen der Wohlfahrtsverbände aus den vergangenen Jahren zu den sich abzeichnenden Konsequenzen bei den Kürzungen im Zivildienst ohne Resonanz geblieben? Frühzeitig und mit der notwendigen, deutlichen Offenheit wiesen u. a. die Wohlfahrtsverbände auf die dramatischen Auswirkungen hin, die sich aus der weiteren Reduzierung im Bereich des Zivildienstes ergeben. Das Ende des Zivildienstes wäre auch das Ende der Sozialarbeit, wie wir sie kennen.
Als treuer Sozialdemokrat vertrat ich bisher, manchmal mit schwerem Herzen, Entscheidungen der sozialdemokratischen Bundesregierung. Für mich war klar: Sozialdemokraten machen Politik mit einem besonderen Engagement für Benachteiligte, Schwache und all jene, für die der Staat eine besondere Fürsorgepflicht hat. Bei notwendigen Einsparungen und Veränderungen gingen Sozialdemokraten bisher umsichtig und vorausschauend ans Werk. Alternativen wurden gearbeitet, damit keiner ins schwarze Loch fiel.
Die aktuellen Beschlüsse zum Zivildienst und die Praxis des Bundesamtes für den Zivildienst lassen diese umsichtige und vorausschauende sozialdemokratische Politik nicht erkennen. Ich kann dies durchaus zutreffend beurteilen, da ich den Zivildienst aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilen kann: als Schwerbehinderter; als Kunde eines Behindertenfahrdienstes; als Vorstandsmitglied des Arbeiter-Samariter-Bundes; als Jugendpolitiker, der die Arbeit von Zivildienstleistenden in Jugendeinrichtungen kennt; als Beauftragter für den Zivildienst in einem Behindertenverein. Durch die Haushaltssperre und die finanziellen Kürzungen beim BAZ wird der Einsatz von Zivildienstleistenden unattraktiv. Das führt letztlich dazu, dass Dienstleistungen reduziert oder komplett eingestellt werden. In vielen Fällen gibt es zum Zivildienst derzeit keine echte Alternative zu den wegberechnenden Dienstleistungen. Die Konsequenzen liegen klarer auf der Hand und wurden von den Wohlfahrtsverbänden schon seit längerem deutlich benannt: Das soziale Sicherungsnetz verändert sich ein weiteres Mal für Hilfsbedürftige zu einer löchrigen Hängematte. Dienstleistungen brechen weg, oder müssen teurer neue oder anders organisiert werden, was unterm Strich die Sozialausgaben spürbar erhöhen wird - oder man lässt die Hilfsbedürftigen unversorgt im Regen stehen! Zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen ein " toller Beitrag".
Ich bitte dich sehr nachdrücklich, die unterschiedlichen Reaktionen auf die beschlossenen Veränderungen im Bereich Zivildienst ernst zu nehmen. Es sind ehrliche Sorgen und Zukunftsängste. Nutze deinen Einfluss in Berlin im Interesse der Betroffenen und zur Absicherung der Sozialarbeit. Ohne den Zivildienst und ohne wirkliche Alternative kommt es in kürzester Zeit zu substantiellen Verwerfungen. Das ist nicht sozialdemokratische Politik! Einmal gefasste Beschlüsse kann man ändern. Menschen, denen man Perspektiven nimmt, nimmt man Zukunft, Hoffnung und sät Zweifel an der Solidarität des Staates mit ihnen. Und das kann nicht Inhalt sozialdemokratischer Politik sein.

Mit sozialdemokratischen Gruß, aber verärgert


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