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Jochen Stelzer
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Gedanken zur Privatisierung des Marler Kanalnetzes

Archiv > 2001 - 2010 > 2003
Einige Gedanken zur Privatisierung der Marler Abwasserbeseitigung

Grundsätzlich ist die Frage zu klären, ob eine zwingend notwendige kommunale Inf-rastruktur privatisiert und somit kapitalisiert wird. Langfristig geht es bei der Privatisie-rung leitungsgebundener kommunaler Anlagen ausschließlich um den Verkauf kom-munalem Eigentum an private Regionalmonopole. (Die Form der Privatisierung ist bei der Beantwortung dieser Frage nachrangig.) Privatisierung der kommunalen Wasserwirtschaft ist Ausdruck des Werteverfalls von kommunalem Eigentum. Mit ein wenig Mühe läßt sich feststellen, daß die Wertschätzung des kommunalen Eigentum von der Identifikation des Wertschätzenden mit dem Eigentum in sehr hohem Maße abhängig ist. Geschaffen haben die kommunalen wasserwirtschaftlichen Anlagen nicht die Kommunen, sondern ihre Bürger. Dieser feine Unterschied ist genau dann zu beachten, wenn Kommunen sich von ihren Bürgern entfernen.
Wir können unser kommunales Abwassernetz nur einmal verkaufen. Die Frage, was eines Tages unsere Kinder dann verkaufen sollen, wenn sie selbst einen maroden Haushalt weiter finanzieren müssen, wird leider nicht beantwortet. - (nach dem Privatisierungsmodell von Gelsenwasser besteht die Möglichkeit, nach Vertragsende alle neugeschaffenen, sanierten, oder übertragenen Abwasseranlagen zurückzukaufen. Dazu sind entsprechende Kredite vom ZBH aufzunehmen, was sich auf die Gebührenhöhe auswirkt (wie der Zinssatz dann aussieht, kann heute nicht abgeschätzt werden.)
Frau Dr. Michaela Schmitz, Bereichsleiterin Wasserwirtschaft beim Bundesverband der Deutschen Gas- und Wasserversorger nimmt gegen die Privatisierung Stellung. Ihre Schlagzeile dazu: "das deutsche Wasser kostet keinen Cent Staatsgelder, da die deutschen Wasserversorger schon lange nach dem Kostendeckungsprinzip ar-beiten." Das ist Insidern seit langem bekannt. Bei der Privatisierung geht es aber nicht um die vermeintlich bessere Effizienz der privaten Geschäftsbesorger - wie all-gemein geglaubt wird - sondern einzig allein darum, daß die Bürger künftig keine Gebühren an die Kommunen, sondern direkt oder indirekt Preise mit Gewinnanteile an die neu zu schaffenden privaten Regionalmonopole zahlen sollen.
Anmerkung: große Energiekonzerne nutzen die Gunst der Stunde. Während die Kommunen das letzte Hemd verkaufen (müssen), setzen sie steuerfreie Rückstellun-gen und liquide Mittel aus dem Firmenimperium ein, um den aus strategischer Sicht unbezahlbaren Besitz der kommunalen Versorgungsstrukturen übernehmen zu kön-nen. So betrug das Wassergeschäft im Wirtschaftsjahr 2001/2002 bei RWE nur drei Prozent am Umsatz, steuerte aber zu 20 Prozent zum Betriebsergebnis bei.
Private Betriebsführungen sind jedoch eine problematische Form des kommunalen Outsourcings, weil es infolge zu Kompetenz- und Identifikationsverlust von bzw. mit den kommunalen wasserwirtschaftlichen Anlagen kommt. Ohne Kompetenz und   Identifikation ist aber keine wirksame Kontrolle möglich. Eine Kommune, die ihre technische und kaufmännische Geschäftsführung privatisiert, sollte sich also darüber im klaren sein, daß sie damit ihrer Kontrolle aufgibt, weil sie nie in der Lage sein kann, eine private Geschäftsführung wirkungsvoll zu kontrollieren. Die Cleverneß, Flexibilität, Raffinesse und hohe interdisziplinäre Fachkunde des Betreibers, welche die Kommune vor Vertragsabschluß einst bewunderte, genau diese Vorteile werden sich als Nachteile gegen die Kommune wenden. Das betreffende Unternehmen wird mit unternehmerischer Routine und spielerischer Leichtigkeit eine wirkliche Kontrolle zur Wahrung kommunaler Interessen zu verhindern wissen. Es ist naiv zu glauben, eine Kommune könne die Privatisierung wirklich kontrollieren oder sogar für sich ausnutzen.
Anm. dazu: Beispiel Potsdam: nach nur zweijähriger Zusammenarbeit kündigte die Stadt ihrer Kooperation mit Eurawasser, einem Joint-Venture von Suez-Lyonnaise des Eaux und Thyssen-Krupp. Innerhalb von 17 Jahren wollte Eurawasser die Ge-bühren um 100 Prozent erhöhen - trotz sinkendem Wasserbedarf. "Da können wir die Arbeit alleine günstiger machen", begründete Carstens Zühlke von der Geschäftsfüh-rung des Wasserbetriebs Potsdam diesen Schritt.
Kommunale Vertreter in den Gremien eines privaten Abwasserbeseitigungs-unternehmens sind aufgrund privaten Rechts verpflichtet, die Interessen des Unternehmens zu vertreten, was zumindest zu Kollisionen mit den Allgemeininteressen führen kann.
Die Rechnungsprüfung obliegt nicht dem vom Rechnungsprüfungsausschuss eingesetzten Rechnungsprüfungsamt, sondern privaten Wirtschaftsprüfern, die betriebswirtschaftliche (sprich privatwirtschaftliche) Gesichtspunkte vor volkswirtschaftliche stellen.
Der Barwertvorteil beim Gelsenwasser-Modell von ca. 8,5 Millionen EUR ist eine ernstzunehmende Größenordnung, die als "flexible Masse" frei eingesetzt werden kann.
In der Sitzungsvorlage 3737 wird im Beschlußvorschlag das Ziel einer privaten Beteiligung an der Abwasserentsorgung der Stadt Marl beschrieben. Darin heißt es u. a.:
>   dauerhafte Sicherung der Verfügungsgewalt über das Anlagevermögen
   und Wahrung des kommunalen Einflusses (das haben wir jetzt auch schon.)
>   Sicherung der Interessen der Mitarbeiter (haben wir auch schon)
>   Sicherung der dauerhaften und ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung (ist
   Bestandteil beim ZBH in der Sparte Abwasserentsorgung.)
>  Aufgabengerechte Investitionstätigkeit (damit arbeitet die Sparte
  Abwasserentsorgung schon von Anbeginn an.)
>   Erzielung eines maximalen Erlöses zur Entlastung des kommunalen
   Haushaltes (durchaus sinnvoll, wenn die Interessen der
   Gebührenpflichtigen umfassend berücksichtigt werden und wenn
   man umsichtig und verantwortungsvoll mit kommunalem Eigentum umgeht.
>  die Frage bleibt dennoch zu beantworten, ob der finanzielle Einmaleffekt für
  den städtischen Haushalt bei einer Privatisierung der kommunalen
  Abfallentsorgung das erstrebenswerte und alleinige Ziel sein kann.)
>  keine neuorganisationsbedingten Gebühren-  bzw. Entgelterhöhungen
  (fallen derzeit nicht an; sind aber bei einer Privatisierung im Auge zu
  behalten.)
Der Entlastungseffekt für den städtischen Haushalt ab 2005 (Tilgung von Krediten in Höhe von 26.408 T Euro bzw. keine Kreditneuaufnahmen) vermindert sich, je später die Mittelzufuhr an den städtischen Haushalt erfolgt, weil der Mittelzufluß dann durch die hohen jährlichen Tilgungsraten des Trägerdarlehens geringer wird. Daher ist der Zeitfaktor bei einer Privatisierung ein treibendes Element; CDU und der Kämmerer benutzen diesen Aspekt, um Druck auf eine schnelle europaweite Ausschreibung und die dann zu erfolgende Privatisierung zu machen.
Fazit: das Argument, den städtischen Haushalt durch die Einnahmen, die aus der Privatisierung der städtischen Abwasserentsorgung fließen, teilweise zu entlasten, hat seinen Charme. Genauso wichtig ist aber die Antwort auf die Frage, ob wir heute und um jeden Preis und ohne wirklich zwingenden Grund städtisches Eigentum verkaufen sollen. Wir dürfen bei all diesen Überlegungen nicht die Interessen der Bürgerinnen und Bürger aus dem Auge verlieren, denn letztlich binden wir uns bei einer Privatisierung der städtischen Abwasserentsorgung auf 25 bis 30 Jahre an einen Monopolisten.
Nach meinen bisherigen Recherchen und Überlegungen tendiere ich derzeit dazu, einer Privatisierung der städtischen Abwasserentsorgung nicht zuzustimmen.


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